Eva Maria Gintsberg:
schichtgedichte
Lyrik
ISBN 978-3-903667-04-4
88 Seiten, Hardcover
€ 19,—
edition himmel bei Limbus
Eva Maria Gintsberg
schichtgedichte
du dramhapperter mensch /
grün wie absinth / der meine
bist a bissl dramhappert /
sinne stört und stöbert
happerts bei deine dram /
im gedankenmisthaufen /
dramma dam mia nimma /
der vogelfrei ein teures postulat
du dramhapperts depperl /
Eva Maria Gintsberg wächst in einem kleinen Dorf in Tirol auf. Viele Gäste kommen zur Sommerfrische. Schön nach der Schrift sprechen gehört zur alltäglichen Übung. Schon als Kind wechselt sie, ohne viel darüber nachzudenken, zwischen Dialekt und Hochsprache.
In diesem Gedichtband werden diese beiden ineinandergeschichtet und so zu einem Sprach- und (noch besser) Sprechspiel. Man springt von Zeile zu Zeile (oder auch nicht), hört hinein, schaug, wås des mit oam tuat, und hinterfragt auf diese Weise ganz beiläufig Wörter, Gewohnheiten und Lebenswirklichkeiten.
Nach der Erzählung »Die Reise« und dem Roman »Herr Klein«, ist »schichtgedichte« der erste Lyrikband von Eva Maria Gintsberg. Unüberhörbar auch hier das Hintergrundrauschen der eigenen Herkunft, das sich gleichermaßen leichtfüßig wie tiefsinnig auflöst in ein für die Autorin typisches, rhythmisches und musikalisches Spiel mit der Sprache. — Als Ergänzung zum Band erscheint auch eine von der Autorin gelesene Hörbuchfassung.
»Es gelingt Eva Maria Gintsberg mühelos und eindringlich, ihr heimatliches Tiroler Idiom mit der universell verständlichen Hochsprache zu verweben und in diesem Wechselspiel faszi-nierende lyrische Dialoge und Klangbilder zu gestalten. «
Hanspeter Müller-Drossaart
Eva Maria Gintsberg
Schauspielausbildung von 1986 – 1989. Seit 1989 Engagements an Theatern in Österreich, Südtirol, im Süddeutschen Raum und in der Schweiz. Zahlreiche Film- und Fernsehrollen. Seit 2009 ist sie als Vorleserin mit eigenen literarisch-musikalischen Programmen unterwegs. 2020 erschien ihre Erzählung »Die Reise«, 2021 der erste Roman »Herr Klein«, 2023 das Theaterstück „Am Ende einer Nacht“.
Rezensionen
Helmuth Schönauer
Nicht umsonst rufen Piloten, wenn sie abstürzen, noch eine Wortfügung aus ferner Kindheit in den Voice-Recorder, ehe Stille dem harten Aufschlag folgt. Mit zunehmendem Alter berichten Sprachanwender verschiedenster Klangfarben davon, dass ihnen in Augenblicken der Überraschung, der Freude und des Entsetzen Partikel aus der Kindheit in den Sinn kommen. Eva Maria Gintsberg lassen diese archaischen Wortspuren der Kindheit keine Ruhe, wenn sie als Schauspielerin und Autorin den Wurzeln des Sprechens nachgeht. Ein elementares Erlebnis als Kind in einem Tiroler Nachkriegsdorf ist das Auftauchen einer neuen Sprache, wenn „die Frembden kommen“. Diese Gebrauchssprache des Tourismus überlagert allmählich die Mundart, die bislang alles abdecken konnte, was für Hausrat, Arbeit und Feiertag notwendig gewesen ist.
„schichtgedichte“ berichten von diesen Überlagerungen der Sprache, die sich wie geographische Schichten ineinander fressen und aufwölben, die sich als sozio-kulturelle Milieus von einander abgrenzen, oder schließlich in der Arbeitswelt im Schichtbetrieb als Tag und Nacht auftauchen. Im Mittelpunkt der Gedichte stehen freilich scheinbar ausgestorbene Wörter, die von der Gebrauchssprache konserviert und eingeschlossen werden wie die berühmten Insekten im Bernstein. Die gängige Methode, Wörtern aus vergangenen Zeiten ein Mahnmal zu setzen, verwendet Mundart in lyrisch reduzierter Form, um einen emotionalen Flash zu entladen. Dabei werden einzelne Begriffe wie aus einem Lexikon in den Mittelpunkt gestellt, besungen und anschließend meist auf der gegenüberliegenden Buchseite als Schrift-deutsche Übersetzung angeboten.
In den „schichtgedichten“ hingegen bauen sich die Gedichte als lyrische Zapfen vor den Lese- Augen auf, die Texte verlaufen scheinbar unauffällig über die Seiten, freilich ist zwischendurch eine Fügung blass gesetzt, als behutsamer Fleck, den die Druckerschwärze nur vorsichtig andeutet. In diesen zurückgenommen Feldern sitzen dann diese geheimnisvollen Wörter, wie sie in der Unterländer Mundart Tirols noch phasenweise als aktiver, zumindest aber passiver Wortschatz gebräuchlich sind. Die Begriffe „bloßhaxad“ für barfuß, oder „kraffi“ für Gerümpel werden vorsichtshalber als Fußnote entschlüsselt, aber diese heimeligen Wörter sind so geschmeidig in die Gedichte eingearbeitet, dass sie sich von selbst erklären.
Der Gedichtband insgesamt ist in zwei Hälften aufgeschnitten, vorne heißt es „heimat:“ (3), hinten nennt es sich „liebe:“ (45). Naturgemäß sind die beiden Teile als Ganzes zu lesen, woraus sich verschämt die Heimatliebe ergibt; aber auch die Umdrehung in Liebe-Heimat ergibt Sinn. Diese Hauptmotiv-Kette umringt wie ein Fotoalbum die Stimmungen von Abend, Sommer, Arbeit, Spiel oder Muse, das lyrische Ich blättert in einem „Wörteralbum“ und evoziert diese Stimmungen, die einen ein Leben lang begleiten, und die manchmal als Wort-Ohrwurm einschießen.
Beim Kartenspiel dieser Gegend wird oft „ein Schöneres“ ausgerufen, dahinter steckt der verschmitzte Glaube, dass man etwas zum Besseren bewenden könne, wenn man es nur hartnäckig einfordert. Die philosophisch einwandfreie Beschreibung für einen günstigen Augenblick heißt „boisingweis“ (82), was mit „manchmal“ oder „zeitweilig“ übersetzt ist. Wer den Ausdruck freilich als Kind selbst angewendet hat, so wie der Rezensent dieser Gedichte, empfindet das Jähe, Schicksalshafte, das „bosingwais“ umschreibt. Mag sein, dass es in der Erinnerung oft bei Todkranken zur Sprache gekommen ist, denen es „boisingwais“ besser gegeangen ist, ehe sie dann umso verlässlicher gestorben sind. – Nicht umsonst ist das letzte Gedicht mit diesem Ausdruck überschrieben, darin geht es um das unerwartet Spontane, für das man sich rüstet, wenn man die Welt dreimal umarmt, jemandem einen Bären aufbindet und dann „Himmel und Hölle“ spielt als Highlight der Kindheit.
Wie bei Schichten üblich folgt auf das Helle das Dunkle, Himmel und Hölle gleichzeitig hinzukriegen, ist eine hohe Kunst. So kramt in der Erinnerung das lyrische Ich die eigene Vergangenheit als Schuldschein aus und versucht der Bürde der Eltern gerecht zu werden. „ich vertreibe den krieg meines vaters / den krieg meiner mutter kenne ich nicht“ (47). Diese Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte bricht sich eine Bahn in die eigene Sprache. „händeringend sitze ich da / warte auf die sprache / die uns verbindet“. Zwischen den Versen, die sich gegenseitig in Schach halten, blitzt dann diese winzige Fügung auf, die alles erklärt: „ois umasinst – alles umsonst“.